Herzblut-Seminare mit Christiane Czech

Christiane Czech
Sonja Zeitler

herzblut-Seminare

Über Christiane

Ich kann mir vorstellen, es interessiert Dich, was für eine Art Mensch ich bin, welche Lebenseinstellung ich habe, was meine Gaben sind, mein Talent, auf welchen fachlichen Füßen meine Arbeit steht, wie ich zu meinem Beruf gekommen bin, ob und welche Erfahrungen ich mit dieser Art von Arbeit habe.

Maßgeblich geprägt hat mich zum einen fraglos meine sehr unkonventionelle Kindheit auf einem Segelboot im Mittelmeer und wohl auch die Tatsache, dass meine Eltern mir stets Mut gemacht haben, an mich und meine Lebensträume zu glauben.

Meine Kindheit und Jugend vermittelte mir zum anderen auch, was ich heute, während meiner Arbeit, oft als mein größtes Kapital erlebe: Die Tatsache, dass ich  sehr viele schmerzliche Seiten des Lebens erfahren musste.

Meine Eltern, vor allem mein Vater war, wie so viele Männer seiner Generation, schwerst traumatisiert aus dem Krieg heimgekehrt. Beide hatten die Gräuel des Krieges überlebt, weil sie gelernt hatten, nichts, aber auch gar nichts mehr zu fühlen. In meiner Familie herrschte nicht nur ein Klima der Bedrohung, das mich und meinen Bruder zutiefst verängstigte. Mein Vater übte auch körperliche Gewalt aus. Er akzeptierte keinerlei Grenzen. Auch nicht die meiner körperlichen und sexuellen Unversehrheit. Ich weiß aus eigener, jahrlanger Erfahrung, was sexueller Mißbrauch mit dem Selbstwertgefühl, der eigenen Körperwahrnehmung und Sexualtät einer Frau macht. Die Scham, die sich meiner (statt seiner) bemächtigte, ist nur nachvollziehbar, wenn frau ähnliche Erfahrungen gemacht hat.

In dieser Zeit musste und habe ich meine wichtigsten Abwehr- und Überlebensstrategien entwickelt. Ich musste zum einen sicherstellen, dass ich den Übergriffen entkam, zum anderen auch, dass ich mein überlebensnotwendiges Maß an Zuneigung, Anerkennung, Zugehörigkeit und positiver Spiegelung bekomme. Ich begann zu hungern in der Hoffnung, mein Vater würde, sobald ich nur noch Haut und Knochen bin, jedes Interesse an mir verlieren. Der Plan ging auf. Nur hatte ich die Dynamik einer Magersucht unterschätzt. Ich wog, bevor ich in die Klinik eingewiesen wurde, kapp 33 Kilogramm. Gleichzeitig setzte ich auf Leistung. Auch das mit Erfolg. Nur: Umso erfolgreicher ich wurde, umso mehr trug ich eine Haltung nach außen, die signalisierte: ‚Ich brauche nichts und niemanden’. Ich war eine sehr isolierte, einsame Einserschülerin. Die großen Löcher ungestillter Bedürftigkeit in mir versuchte ich mit diversen Suchtmitteln zu stopfen. Ich rauchte zwei Päckchen am Tag und hing gefühlt am Zuckertrog. Das mag auf den ersten Blick im Angesicht meines niedrigen Gewichts irritierend erscheinen. Mit Zucker ist es wie mit Alkohol: Wenn frau exklusiv Zucker oder Alkohol konsumiert, nimmt sie ehr ab.

All diese Erfahrungen in meiner Kindheit und Jugend machen es mir heute leichter, mich in mein Gegenüber auch gefühlsmäßig hineinzuversetzen. Ich weiß, wie weh etwas tun kann, wie zwanghaft wir in unseren Handlungen sein können, wie unbelehrbar. Ich weiß aus eigener Erfahrung, dass es uns sehr viel leichter fällt, zum hundertsten Mal die gleiche, unerträgliche Schleife zu ziehen, nur weil sie vertraut ist, als einen Schritt ins Neue, Unbekannte zu wagen.

Auch wenn keine Erfahrung einer anderen gleicht, ich erlebe es in meiner Arbeit als sehr hilfreich, eine Ahnung von der realen Situation und dem gefühlsmäßigen Chaos zu haben, indem frau stecken kann,

Zu meinem großen Glück schickte mir das Leben mit achtzehn einen wunderbaren Mann, der mit seiner Liebe und Hingabe meine kindlichen Wunden heilen half.

Ich machte mein Abitur und wir zogen zum Studium von Norddeutschland nach Berlin. Ich wollte Gymnasiallehrerin werden, da ich selbst eine begeisterte Schülerin war und es heute noch liebe, Dinge, die mir am Herzen liegen,  zu erklären und weiterzugeben. Leider gehöre ich den geburtenstarken Jahrgängen an, und so war für mich schon nach der Hälfte des Studiums klar, dass ich nie und nimmer eine Planstelle bekommen würde. Ich beschloss, mein Studium abzuschließen und mich nach Alternativen umschauen.

Schon am Anfang meines Studiums konnte eine Bekannte mich überreden, trotz meiner massiven Ängste und nicht minder großen Widerstände, zu „so was“ zu gehen: Eine Gruppe. Ihre Monate anhaltende Hartnäckigkeit ist der Grund, warum ich heute sehr viele Brücken baue, um Menschen die Angst vor Gruppen zu nehmen. Ich sorge durch klare Regeln und viel Erfahrung für ein Miteinander, dass klare Grenzen, Schutz, Wertefreiheit und Mitmenschlichkeit in den Mittelpunkt stellt.

Meine erste Gruppe war für mich ein unvergessliches, höchst emotionales und sehr körperbezogenes Erlebnis. Mit Hilfe einer, wie ich heute weiß, simplen Körper- und Atemübung gelang es dem Leiter dieser Gruppe, meinen über Jahre mühsam festgezurrten Gefühls-Deckel zu lüften. Lang aufgestaute Gefühle verschafften sich mit einer Lebendigkeit Ausdruck, die mich überraschte. Mein Körper machte mich liebevoll und unmissverständlich darauf aufmerksam, dass ich mich zu sehr unter Leistungsdruck setzte, da ich vor lauter Perfektionismus fast steif vor Anspannung war. Mein Körper zeigte mir auch, wie sehr ich mich danach sehnte, gehört, berührt, getröstet, gehalten zu werden, dass ich nur einen Bruchteil der Vitalität, Sinnlichkeit und Kraft anzapfte, die mir eigentlich zur Verfügung stand.

Meine erste Gruppe war eine unbeschreibliche Erleichterung im wahrsten Sinne des Wortes: Am Ende war ich um gefühlte Tonnen an Schmerz und Wut und zwei Kilo Körpergewicht leichter.

Ich wusste sofort, das ist der Weg, der sich zu gehen lohnt, der wirklich eine Befreiung verspricht, auch wenn es bedeutete, Angst und Scham zu überwinden, mich meinen Löchern zu stellen, meinen Schmerz erneut zu konfrontieren.

Ich hatte anfangs gar nicht die Idee, Psychologie und Körperarbeit irgendwann zu meinem Beruf zu machen. Ich begegnete David Boadella und erlebte im Rahmen seiner dreijährigen Ausbildung in Somatischer Psychotherapie (Biosynthese)die Faszination und enorme Ausdrucksfähigkeit von  Körpersprache. Und ich erlebte hautnah, dass das, was er tat, bei mir und anderen wohltuende, klärende, lösende Wirkung hatte. Ich beschloss, beruflich diesen Weg einzuschlagen, nachdem ich mein Studium abgeschlossen hatte,

In dieser ersten Ausbildungsgruppe lernte ich meinem langjährigen Lehrer und späteren Freund Martin Siems kennen. Nach einer langen Nacht beim Inder nahm er, der bekannte und erfahrene Therapeut, mich, den Grünschnabel ohne jede praktische Erfahrung, an die Hand und gab mir zu verstehen: ‚Christiane, Du wirst alle Fehler mindestens einmal machen müssen. Du kannst Jahre damit warten oder gleich anfangen’. Ich zog letzteres vor.

Zu meinem Glück war ich zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort. Im Berlin der achtziger Jahren war Körperarbeit DER Trend und ich sollte dank Martin das einzige Mal in meinem Leben meiner Zeit voraus sein: Meine neu gegründete Praxis war im Handumdrehen voll.

In den vier Jahren meiner Assistenz bei Martin und auch in den sich anschließenden Jahren der Zusammenarbeit  bin ich von einer Gruppe zur nächsten gependelt und bekam das unschätzbare Geschenk, von Martin aus erster Hand zu lernen, wie eine Gruppe verantwortungsvoll und professionell geleitet wird. Ein Spektrum wie Martin es durch unzählige Ausbildungen ausweist ist extrem selten. Ich durfte einen Pool an Techniken und Übungen kennen lernen, den ich meine Schatzkiste nenne.

Parallel besuchte ich eine zweijährige Supervisions-Ausbildung bei David Boadella, mehrere Jahre lang die Diamond Approach Arbeit der Rhidwan-Schule von A. H. Almaas, ich absolvierte eine Ausbildung in Human Holographics bei Otto Richter und besuchte viele weitere Fortbildungen.

Mit Anfang dreißig verliebte ich mich „unsterblich“ in einen Mann, der schwer drogenabhängig war. Ich war derweil so erfolgreich, dass ich mir einbildete, ich könne ihn heilen, wenn er ‚nur mal aus allem raus kam’. Wir heirateten und gingen zusammen ins Ausland. Ich verlor natürlich meine Praxis und meine Gruppen, mit der Zeit auch meine Freunde und am Ende meine Selbstachtung.

Aus dieser Zeit weiß ich, was es heißt, in einer Abhängigkeitsbeziehung zu leben, und wie unendlich schwer der Ausstieg sein kann. Ich habe auch erfahren, wie tief Menschen sinken müssen, die sich, wie ich, insgeheim für grandios halten, um dem Leben gegenüber Demut, Dankbarkeit und Wertschätzung zu lernen. Als gar nichts mehr ging, erbarmte sich meine  Familie und meine letzten verbliebenen Freundinnen und ebneten mir den Weg zurück nach Deutschland. Ich hatte nichts mehr. Kein eigens Einkommen, quasi keine Freunde, keine Klienten, kein Selbstwertgefühl. Ich suchte mir einen Platz in einer psychosomatischen Klinik, in der Hoffnung, dort wieder Boden unter den Füßen zu gewinnen, Das Leben war abermals gnädig mit mir und schickte mir in dieser zweiten großen Krise meines Lebens, wenige Tage, bevor ich in die Klinik sollte,  wiederum einen wundervollen Mann.

Wenn es Liebe auf den ersten Blick gibt, so haben wir dieses Geschenk erleben dürfen. Kaum drei Wochen nach unserer allerersten Begegnung haben wir bereits eine 4-Zimmer-Altbauwohnung in Nürnberg gemietet. Wir wussten beide: „Der ist es, genau der“. Beziehungsweise: „Die ist es, genau die“!

Die Liebe brachte mich somit von Berlin nach Nürnberg, eine Stadt, die ich kaum kannte und in der mich vor allem niemand kannte. Ich konnte schlecht eine Praxis eröffnen, ein Schild an die Tür hängen und erwarten, dass Menschen unbekannterweise an meiner Tür klopfen. In meinem Beruf beruht Nachfrage vor allem, wenn nicht ausschließlich auf Mundpropaganda.

Ich fing folglich wieder fast ganz von vorne an. Ich nahm den Umweg über die so genannten Personaldienstleistungen, zu Anfang als Personaldisponentin bei der Zeitarbeit, dann als selbständige Kommunikationstrainerin und Coach in der freien Wirtschaft und zum Schluss als Leiterin der Akademie für Managementtraining bei einer großen  Nürnberger Wirtschaftssozietät. Die Jahre haben mich viel gelehrt, doch ich wusste die ganze Zeit, ich bin noch nicht an meinem beruflichen Wunschziel angekommen.

Dann suchte das Klinikum Nürnberg eine Psychologin für eine Maßnahme mit stark übergewichtigen Menschen. Sie entschieden sich für mich und ich entschied mich umgehend, eine winzige Praxis zu eröffnen.

Mein Bauchgefühl sagte mir, niemand, absolut niemand isst aus Spaß und Dollerei maßlos viel und freut sich seiner Pfunde. Im Gegenteil, mit Adipositas geht wie mit jeder Suchterkrankung  tiefes Leid einher, unfassbar viel Scham, Selbstzweifel bis hin zu Selbsthaß. Ein scheinbar nicht enden wollender Teufelskreislauf aus: Ungeduld, Wunschdenken, Scheitern, Frust und falscher Belohnung. Adipositas ist unheilbar und dauert somit lebenslang an. Heißt auch, ihr ist nicht mit Crash-Diäten, kurzfristigen Willensanstrengungen oder Selbstvorwürfen beizukommen. Es geht vielmehr um tiefgreifende Akzeptanz, dass man erkrankt ist. Es braucht einen langfristigen, am Lebensgefühl und nicht an der Waage orientierten Lösungsweg.

Es braucht, wie bei allen Suchterkrankungen, vor allem die Entscheidung, ALLES, was die Krankheit verstärkt oder zementiert auf den Prüfstand zu stellen. Es gilt sich Fragen zu stellen wie: Womit kann ich mich belohnen, ohne mich gleichzeitig zu bestrafen? Will mein Partner überhaupt, dass ich abnehme und damit mittelfristig selbstbewusster, unabhängiger und freier werde? Meint es mein Italiener um die Ecke zu gut mit mir? Wie kann ich meinen tief empfundenen Frust, meine Kränkungen und mein mangelndes Selbstwertgefühl er-tragen, ohne zu viel zu essen? Gibt es Orte, Urlaubsländer, Events, die ich für eine Zeit lieber meiden sollte? Wie wichtig ist es, mein Umfeld wissen zu lassen, dass ich erkrankt bin und Unterstützung statt Verführung brauche?

Meine neu eröffnete Praxis füllte sich zu meinem großen Glück gefühlt über Nacht. Im Anschluss absolvierte ich zusammen mit Martin eine Ausbildung als systemische Familienaufstellerin bei Dr. Doetsch in Köln, die meine weitere Arbeit nicht nur bereichern, sondern meine Sicht verändern sollte. Das Wissen und neue Bewusstsein, dass Familien, das „System“ aus dem wir kommen, seine Erfahrungen über Genrationen weitergibt, hat meinen Blickwinkel geweitet. Manches hat mehr mit dem System zu tun, als mit den Erfahrungen, die frau selber gemacht hat.

So wurde mir bewusst, dass meine im Freundeskreis oft belächelte Angewohnheit, Unmengen von Lebensmitteln zu horten, ursächlich nichts mit mir oder gar mit meiner Magersucht zu tun hat. Es ist der Erfahrung meiner Großeltern und meines Vaters geschuldet, die im Krieg unfassbar hungern mussten.

Als vor einem Jahr Corona eine mögliche Unterbrechung der Versorgungskette zur Folge hätte haben können, hatte ich keine Wahl. Meine Ahnen haben mich angefleht, Hamsterkäufe zu tätigen. Während ich die Wägen mit Kartoffeln, Hefe, Mehl, Margarine und Zucker voll lud, war mir bewusst, ich werde das Gros niemals essen. Dennoch hatte ich das Gefühl, vor allem meine geliebte Großmutter steht regelrecht hinter mir  und fleht mich an, all diese Dinge zu kaufen. Ich konnte auch ihre Erleichterung wahrnehmen, als ich, wieder zuhause, die Lebensmittel verstaute. Auch wenn meine Großmutter leider schon 1978 verstorben ist, ich habe es sehr gerne für sie getan. Ich verstand, warum.

Ich bin meinem Mann bis heute zutiefst dankbar, dass er bereit war, zusammen mit mir vier Jahre lang ein intensives, körperpsychotherapeutisches Tantra-Training beim Aruna-Institut von Regina König und Hellwig Schinko zu besuchen. Es war eine Herausforderung! Und es half, meine sexuelle Wunde zu heilen. Ich durfte mich als Frau neu entdecken, meinen Körper, seine Sinnlichkeit, Freude und Lust von Schmerz und Scham befreien. Was für ein Geschenk!

Zugleich weckte diese Erfahrung meine Sehnsucht, einen weiteren Traum Wirklichkeit werden lassen: Die Arbeit mit Gruppen. Ich liebe die Dynamik, Tiefe, Intensität und Zeugenschaft, die nur eine Gruppen bieten kann. Ich weiß aus eigener Erfahrung, wie herausfordernd es ist, sich wildfremden Menschen mit intimsten Themen zu öffnen, Ich weiß auch, wie befreiend, stärkend und Mut machend es ist, von eben diesen wildfremden Menschen liebevoll und glaubwürdig gespiegelt zu werden.

Es ist wie eine Art Probezeit fürs richtige Leben, wie eine Generalprobe, noch unter Ausschluss der Öffentlichkeit, doch wegweisend. Wenn „die“ (anderen Teilnehmer) mich in Ordnung finden, obwohl sie mehr von mir wissen und mich offener, verletzlicher und bedürftiger erlebt haben, als die meisten Menschen in meinem Alltag, dann wird das für die meisten anderen Menschen, die ich kenne, auch gelten. Vorausgesetzt ich wage es anschließend, mich auch im normalen Leben offener, ehrlicher und wahrhaftiger zu zeigen.

Die folgenden Jahre waren beruflich geprägt von intensiver und sehr erfüllender Arbeit mit Menschen jeden Alters, Geschlechts und mit jedem nur denkbaren Anliegen und Thema. Einzeln, als Paar oder in der Gruppe.

Nach etwa zehn Jahren ließ das Interesse an Gruppen leider erkennbar nach und ich erfand die sogenannten Intensivtage: Die Möglichkeit, exklusiv und höchst konzentriert über mehrere Tage an eigenen Themen  allein oder als Paar zu arbeiten. Es sollte eine der besten Ideen werden, die ich hatte.

Privat ist diese Zeit gekennzeichnet durch die Suche nach einem Lebensraum, der mir hilft, endgültig in Franken Wurzeln zu schlagen. Nach ungezählten Besichtigungen wurden mein Mann und ich fündig. Ich bin bis heute froh, dankbar und glücklich über unsere Wahl. Mein Zuhause ist nicht nur ein Ort der Stille mitten in der Natur, versehen mit einem S-Bahnanschluss, sondern auch der Platz, wo ich arbeite. Bedeutet keine Wege mehr und höchste Flexibilität in der Vergabe von Terminen.

Nachdem wir uns eingerichtet hatten, uns angekommen fühlten, war für uns der Zeitpunkt gekommen, unsere Liebe zu besiegeln. Im März 2013 gaben wir uns im Standesamt Freystadt das Jawort. Ein unvergesslicher Moment, eine noch schönere Feier im kleinsten Freundeskreis, eine Traumhochzeitsreise in ein Haus am Meer auf Teneriffa.

Leider bin ich seit meiner Kindheit geplagt von Rheuma, derweil zudem von Arthrose und beginnender Gicht. Ich wusste, wenn ich nicht gegensteuere, werde ich schon mit 60 Jahren im Rollstuhl sitzen beziehungsweise ein sehr immobiles Leben führen.

Auf dem Flughafen in Zürich fand ich unerwarteterweise die Lösung in Form einer kostenlos zur Verfügung gestellten Fitnesszeitschrift. Der Artikel über Yoga faszinierte mich sofort und laienhaft begann ich, die abgebildeten Figuren nachzuahmen. Himmel! Ich erntete den Muskelkater meines Lebens. Zugleich wurde Yoga Teil meiner täglichen Praxis und ist es bis heute geblieben. Ich brauche kaum noch Schmerzmittel und fühle mich beweglich, jung und fit. Meine Arthrose macht es mir leicht, meinen Schweinehund zu besiegen: Wenn ich nur eine Woche nicht trainiere, bekomme ich solche Schmerzen, dass jede Asana dagegen ein Kinderspiel ist.
Dennoch schwante mir, es wäre besser, ich würde Yoga von der Pieke auf lernen und nicht länger vor mich hin wurschteln. Während ich beim Frisör auf meinen Einsatz wartete, fiel mir ein Bericht über Yoga in Indien in die Hand. Ich wusste augenblicklich: Das ist es. Da muss ich hin. Und buchte eine sechswöchige Yoga-Ausbildung in Goa.

Ich weiß nicht, ob ich es getan hätte, wenn ich gewusst hätte, was auf mich zukommt. Indien. Es schien mir wie ein Lockruf. Es wurde meine härteste Konfrontation mit der Tatsache, dass die Welt kein gerechter Ort ist. Natürlich hatte ich Dokumentationen über das Land gesehen, Bücher gelesen und dachte, ich weiß in etwa, was mich erwartet. Wusste ich nicht.
Es war noch nicht einmal die bittere Armut, die mich bis ins Mark schockierte. Selbst die allgegenwärtigen Müllberge, die das Land in Plastik hüllen, erschütterte mich nur bedingt. Es war vor allem die Atmosphäre, die Energie von Hoffnungslosigkeit, die das Land und seine Menschen lähmt. Wo sollte man anfangen? Allein der Gedanke an das unmenschliche Kastensystem löst augenblicklich ein Gefühl von Sinnlosigkeit aus. Auch bei uns ist es nachgewiesenermaßen sehr schwer, wenn man aus einer benachteiligten, bildungsfernen Familie kommt, Erfolg zu haben. Aber es ist machbar. Es gibt genügend Beispiele, die Mut machen. In Indien bist Du seit und für Generationen dazu verdammt, dort zu verharren, wo Deine Mutter Dich hineingeboren hat.

Ich verdanke meiner Reise nach Indien ein Lebensgefühl von Dankbarkeit, Achtsamkeit und Demut, das jeden meiner Tage mir bewusst macht, auf welcher Insel der Glückseligen wir leben.

Ich werde die Heimfahrt von München, wo mein Mann mich vom Flughafen abholte, nach Nürnberg niemals vergessen. Ich habe beim Anblick der wie mit dem Lineal gezogenen Felder neben der Autobahn, der unfassbaren Sauberkeit und Schönheit um mich herum, geheult wie ein Schlosshund. Ich konnte kaum fassen, dass es möglich ist, an einem Sonntagmorgen um 8 Uhr in der Früh frische Brötchen vom Bäcker in den Händen zu halten. Alles kam mir vor wie in einem Märchenfilm. Nicht Bollywood, sondern mein Heimatland rührte mich zu Tränen.

Dann ereilte mich die Diagnose. Eine Zäsur, die mein Leben nachhaltig verändern sollte. Ein Wendepunkt. Ich begriff auf einmal, wie begrenzt die eigene Lebenszeit ist, vor allem: Wie kostbar Leben ist. Ich begann für meine Gesundung zu kämpfen. Ich war und bin bereit, ALLES aus meinem Leben auszuschließen, was meiner physischen und psychischen Gesundheit schadet. Am meisten stand ich mir selbst im Weg durch meine überhöhten Ansprüche an mich selbst. Gefühlt stand bis zu diesem Tag immer jemand mit einer Peitsche hinter mir und feuerte mich an: Schneller, besser, noch besser. Ich bin bis dahin durch mein Leben gerannt, als sei jemand hinter mir her.

Ich stoppte dieses Rennen abrupt. Keine Hektik mehr, keinen Stress! Ich war bereit mich von JEDEM Kontakt, JEDEM Plan zu verabschieden, der mir schadete, mich unter Leistungsdruck setzte, mich anstrengte.

Ich will erlebe, wie es sich auf meine Arbeit  auswirkt, wenn ich ohne jede Anstrengung, im Vertrauen auf mein Gegenüber und sein Potential, Menschen auf ihrem Weg begleite. Wenn ich die Peitsche des Antreibens im Schrank lasse, wenn ich mich dem Fluss der Arbeit hingebe, wenn ich mich führen lasse, statt einem starren Plan zu folgen. Ich bin mehr als gespannt, wie sich diese Haltung auf meine Arbeit in Gruppen auswirkt, wenn ich – gebe Gott! –  im Februar 2022 nach langen bald 10 Jahren wieder im Rund vor einer Gruppe sitzen. Schloss Wasmuthhausen war zudem viele Jahre lang sozusagen Martin und mein „Wohnzimmer“, wir haben in den achtziger und neunziger Jahren dort ungezählte Gruppen zusammen geleitet.

Ich will auch privat den Rest meines Lebens in dieser verspielten Haltung durch mein Leben wandeln. Ich will mir, gerade auch im Angesicht meiner Krankheit, gerecht werden. Ich will gut für mich sorgen. Dazu gehörte auch, mich vor zwei Jahren von meinem Mann zu trennen. Wir sind und bleiben hoffentlich eng befreundet, nach 23 Jahren des Miteinanders ein großes Geschenk.

Seitdem lebe ich alleine und kann meine Tage genau so gestalten, wie es für mich passt. Ich erlebe eine Freiheit, die ich nie zuvor hatte. Ich sage ob, ich sage wann, ich sage wer, ich sage wie, ich sage was.

Ich erinnere, als mein Vater starb, hat meine Mutter ein ähnliches Gefühl von Freiheit und Selbstbestimmung erlebt. Sie war über 50 Jahre an der Seite meines Vaters glücklich und doch genoss sie es sichtlich, nachdem er verstorben war, ihr Leben im Detail so zu gestalten, dass es ihr und ihren Bedürfnissen gerecht wurde. Sie war damals schon über 80 Jahre alt. Ich habe gerade erst meinen 60 Geburtstag gefeiert. Meine Mutter wäre stolz auf mich.

Ich wertschätze und liebe meine Arbeit heute als eine Tätigkeit, die es mir gestattet, so authentisch zu sein, wie es mir möglich ist und die mich zudem mit sehr unterschiedlichen und sehr liebenswerten Menschen in Kontakt bringt.

Mein letztes Drittel – so ich denn wie meine Mutter über 90 Jahre alt werde – hat begonnen. Mit mir. Im Frieden. Entspannt. Auf mich gestellt. Und voller Elan und neuer Pläne. Ich freue mich sehr auf neue Erfahrungen.

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